Wissenschaft

Schrödingers Katze: Die wundersame Welt der Quanten

Wer die Netflix-Serie „Dark“ gesehen hat, ist nicht nur über radioaktiv strahlende Tote gestolpert, sondern hat auch den Begriff „Schrödingers Katze“ gehört. Letztere sollte in der Serie die Versinnbildlichung zweier parallel existierender Realitäten darstellen. Stimmt das? Gibt es sowas wirklich? Und wie nah an Erwin Schrödingers Gedankenexperiment aus dem Jahr 1935 war die Serie bei diesem Vergleich? Dazu müssen wir kurz in die Welt der Quanten (übrigens auch kein selten genutzter Begriff in „Dark“) eintauchen.

Was sind überhaupt Quanten?

Elektronenübergang im Bohr'chen Atommodell, schematisch
Elektronenübergang im Bohr’schen Atommodell, schematisch

Wem noch keine Quanten über den Weg gelaufen sind, der muss trotzdem vom Begriff des Quantensprungs gehört haben. In der Alltagssprache und besonders von Politikern, die einen besonders großen Fortschritt in kürzester Zeit sprachlich ummalen möchten, hört man immer mal wieder diese Bezeichnung. Der Witz dahinter: Sie wird zumeist vollkommen verdreht verwendet. Denn ein Quantensprung ist in Wirklichkeit winzig, so klein sogar, dass er unter einem Lichtmikroskop ganz sicher nicht mehr beobachtet werden kann. Es ist der Übergang, den ein Elektron in der Hülle eines Atoms von einem Energieniveau auf ein anderes macht. Im Bohr’schen Atommodell kann man sich das so vorstellen: Ein Elektron wechselt auf eine andere Umlaufbahn um den Atomkern.

Dieses Bild veranschaulicht auch sofort, woher Quanten ihre Namen haben. Das lateinische Wort quantum heißt „wie groß“ oder „wie viele“. Ein Quant ist ein Objekt, das durch einen Zustandswechsel in einem System erzeugt wird, das nur ganz bestimmte (sog. diskrete) Werte annehmen kann. Zwei solcher Werte sind beispielsweise die zwei zuvor beschriebenen Energieniveaus im Bohr’schen Atommodell. Diese umschließen nämlich nicht willkürlich den Atomkern, sondern haben einen ganz bestimmten (diskreten) energetischen Wert. Dazwischen gibt es nichts, wirklich nichts, keine Chance. Ein Elektron kann nur auf dem einen Energieniveau sein oder auf dem anderen. Deshalb heißt das Phänomen auch nicht „Quantenwanderung“, sondern „Quantensprung“. Zack! Und plötzlich ist es woanders.

Konkrete Beispiele für Quantenobjekte sind Elektronen (in der Atomhülle), Neutronen (im Atomkern) und Photonen (Licht), aber auch ganze Atome oder sogar Moleküle, wenn sie bestimmten Anforderungen genügen; kurz: Die ganz kleinen Dinge, aus denen die Welt aufgebaut ist.

Quanten vs. klassische Physik

Wie kann das sein? Aus „unserer“ makroskopisch-großen Welt kennen wir das nämlich nicht. In unserem Alltag ist nichts Zack! woanders. Grund dafür ist, dass wir aus dem Alltag nur die klassische Physik kennen: Große Objekte (und als „groß“ zählen auch noch Mücken, Bakterien oder Viren, wenn man sie mit Quantenobjekten vergleicht) bewegen sich, treffen aufeinander, prallen voneinander ab. Wenn wir auf der Straße geblitzt werden, weiß das Ordnungsamt genau, wo und wie schnell wir in dem Moment waren. Und wenn wir irgendwo hingehen, dann müssen wir uns vorher für einen einzigen Weg entscheiden. Und eine Katze ist lebendig oder tot, niemals beides gleichzeitig.

Das klingt alles völlig selbstverständlich. Die große Überraschung ist aber, dass das für Quanten nicht gilt. Denn es kommt noch dicker: Sprünge sind nur eine von vielen merkwürdigen Besonderheiten in der Welt der Quanten. Diese können nämlich Teilchen und Welle zugleich sein (Welle-Teilchen-Dualismus), sie können unscharf sein (d.h. wir können nicht gleichzeitig beliebig exakt bestimmen, wo ein Teilchen ist und welchen Impuls es gerade hat) (Heisenberg’sche Unschärferelation), sie können sich durch Barrieren hindurch bewegen (Tunneleffekt) und sie können sich wie Wellen überlagern und sich dabei verstärken oder auslöschen (Interferenz) und noch vieles mehr. Ganz verrücktes Zeug!

Und doch ist es wahr und geschieht ununterbrochen überall um uns herum in den allerkleinsten Bausteinen der Materie. Wir können es nur so schwer begreifen, weil es rein gar nichts mit dem zu tun hat, was wir in unserer klassisch-physikalischen Welt erleben. Schon die größten Wissenschafter des 20. Jahrhunderts haben sich den Kopf darüber zerbrochen und sie tun es bis heute.

Wenn man nicht zunächst über die Quantentheorie entsetzt ist, kann man sie doch unmöglich verstanden haben.

Niels Bohr zitiert in „Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik“ von Werner Heisenberg

Es ist sicher zu sagen, niemand versteht Quantenmechanik.

Richard Feynman, The Character of Physical Law, MIT-Press 1967, Kapitel 6

Superposition: Das Doppelspaltexperiment

Puh! Jetzt wird es noch ein wenig theoretischer: Eine weitere Besonderheit in der Quantenmechanik ist die Überlagerung von Zuständen. Ein Quantenobjekt kann mehrere Zustände gleichzeitig (überlagert) besitzen. Man nennt dies „Superposition“. Versucht man zu messen, in welchem Zustand sich das Objekt befindet, so wird es gezwungen, sich für einen der Zustände „zu entscheiden“. Welcher der vielen überlagerten Zustände das ist, kann nicht vorhergesagt werden. Erst nach der Messung steht fest, in welchem Zustand sich das Objekt fortan befindet. Schwer verständlich? Das folgende Experiment macht es deutlich.

Versuchsaufbau Doppelspaltexperiment
Versuchsaufbau Doppelspaltexperiment

Das klassische Beispiel hierfür ist das Doppelspaltexperiment. Dabei werden beispielsweise Elektronen (oder auch Neutronen, ganze Atome oder Moleküle), die hier als Quantenobjekte dienen, auf zwei sehr kleine, nahe beieinander liegende Spalten in einer Blende geschossen. Auf der anderen Seite steht ein Schirm, der aufzeichnet, wo die Elektronen auftreffen.

Nun führt man verschiedene Versuche durch und macht erstaunliche Beobachtungen:

  • Zunächst werden beide Spalte geöffnet. Schießt man ein paar Elektronen durch den Doppeltspalt, sieht man einzelne Punkte auf dem Schirm. Überall dort, wo ein Elektron auftrifft, wird sein „Abdruck“ aufgezeichnet. Das macht uns glücklich, denn es bestätigt das, was wir im Chemie- oder Physikunterricht gelernt haben: Elektronen sind kleine Teilchen, die durch die Luft fliegen und beim Aufprall auf einen Detektor einen Punkt hinterlassen können.
  • Schießt man nun eine Menge Elektronen durch den Doppelspalt, erkennt man auf dem Schirm ein sogenanntes Interferenzmuster, wie es auch dann entsteht, wenn man Luft (Schall) oder Wasser (Wellen) in Schwingung versetzt, mit dem Unterschied, dass das entstehende Muster im Doppelspaltexperiment aus vielen kleinen Punkten besteht. Dort, wo zwei Wellenberge oder -täler aufeinander treffen, verstärkt sich die Welle, während Gipfel und Tal sich gegenseitig auslöschen. Jetzt sind wir verunsichert, denn wären Elektronen bloß Teilchen, so könnten sie doch kaum wie Wellen wechselwirken. Wären sie aber nur Wellen, so würden sie wohl keinen punktförmigen Abdruck hinterlassen, eine Ladung und eine Masse besitzen. Offenbar sind Elektronen irgendwie Teilchen und Welle zugleich.
  • Schießt man ganz langsam ein Elektron nach dem anderen durch den Doppelspalt, sodass niemals zwei Elektronen gleichzeitig zwischen Kanone und Schirm sind, so machen wir dennoch dieselbe Beobachtung: Ein Interferenzmuster entsteht. Langsam zweifeln wir an uns selbst, denn offenbar sind Elektronen nicht nur Teilchen und Welle zugleich, die sich gegenseitig beeinflussen können. Ein einzelnes Elektron kann sich offenbar auch selbst beeinflussen. Irgendwie wandert es offenbar durch beide Spalten des Doppelspalts auf einmal und interferiert dann mit sich selbst. Wie kann das sein?
  • Deshalb macht man ein letztes Experiment. Wir bringen einen Detektor an, der prüft, ob ein Elektron durch den einen oder durch den anderen Spalt hindurch tritt. Dann wiederholen wir den vorherigen Versuch und stellen fest: Manchmal bewegt sich ein Elektron durch den einen, manchmal durch den anderen Spalt. Aber was ist das? Das Interferenzmuster auf dem Schirm ist verschwunden. Stattdessen sind nur noch zwei „Treffer-Zonen“ zu sehen, eine für den oberen Spalt, eine für den unteren. Weiß das Elektron, dass wir es beobachtet haben? Hat es sich deshalb für einen Spalt „entschieden“?

Jetzt wird deutlich, was mit dem ersten Absatz dieses Abschnitts gemeint war: Das Elektron muss seinen Zustand (in diesem Fall seine Position (der eine vs. der andere Spalt)) dann offenbaren, wenn wir diesen Zustand messen wollen. In den ersten Experimenten haben wir die Position erst dann detektiert, wenn das Elektron den Schirm schon erreicht hatte. Auf dem ganzen Weg dorthin konnten die Zustände noch überlagert sein, sodass das Elektron mehrere Positionen gleichzeitig besitzen konnte und diese konnten miteinander wechselwirken. Bringen wir einen Detektor aber schon am Doppelspalt an, muss das Elektron bereits hier seinen „wahren Zustand“ offenbaren. Es besitzt ab dann nicht mehr viele überlagerte Positionen, sondern nur noch eine einzige (die gemessene) und ist nun auf dem ganzen Weg bis zum Schirm an die dazugehörige Flugbahn gebunden.

Für alle, denen das Potential dieses Phänomens jetzt noch nicht deutlich geworden ist: Das Quantenobjekt war hier gleichzeitig auf allen möglichen Flugbahnen, bis wir es gezwungen haben, sich für eine Flugbahn „zu entscheiden“. Und dieses Phänomen gilt nicht nur für den Ort, sondern für alle möglichen Zustände des Quantenobjekts; auch für binäre Zustände, d.h. solche, für die es nur genau zwei Möglichkeiten gibt. Bis wir nachschauen, sind beide Zustände überlagert und ist beides gleichzeitig wahr.

Schröderingers Katze

Der Physiker Erwin Schrödinger hat 1935 ein berühmtes Gedankenexperiment gemacht, das die Absurdität genau dieser Eigenschaft zeigen sollte: Er übertrug die Idee der überlagerten Zustände aus der Quantenwelt auf unsere makroskopische, klassisch-physikalische Alltagswelt. Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist eine Katze.

Schrödingers Katze
Dhatfield, „Schrodingers cat“, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Die Katze sitzt in ihrer natürlichen Umgebung, nämlich einem Pappkarton, dessen Deckel verschlossen ist. Neben ihr stehen ein radioaktives Präparat, ein Detektor für den radioaktiven Zerfall und eine für die Katze tödliche Menge Gift in einem verschlossenen Gefäß. Der Aufbau ist so angeordnet, dass der Detektor den radioaktiven Zerfall des Präparats misst. Sobald er einen Zerfall detektiert, löst er einen Mechanismus aus, der das Gift freisetzt. Das Gift wird wohl oder übel die Katze töten.

Nun ist jedes radioaktive Atom in dem Präparat ein Teilchen, für das die Gesetze der Quantenphysik gelten. Seine Zustände sind deshalb überlagert. Es ist deshalb gleichzeitig zerfallen und nicht zerfallen, bis wir den Zustand messen, also das Teilchen zwingen, sich zu entscheiden, ob es schon zerfallen oder noch nicht zerfallen ist. Wenn das Atom aber zerfallen und nicht zerfallen ist, dann hat der Detektor auch einen Zerfall registriert und keinen Zerfall registriert, also hat er den Mechanismus ausgelöst und nicht ausgelöst, also ist das Gift freigesetzt worden und nicht freigesetzt worden und die Katze ist tot und lebendig.

Erst dann, wenn wir den Karton öffnen, „messen“ wir den Zustand der Katze. Wir sehen, ob sie tot oder lebendig ist. Solange der Karton jedoch verschlossen bleibt, sind die Zustände überlagert und sie ist gleichzeitig tot und lebendig.

Dass das nicht wirklich der Fall sein kann, sollte schnell einleuchten. Aber warum? Wo liegt das Problem in der Kette? An dieser Frage zerbrechen sich die theoretischen Physiker seit jeher den Kopf. Ihre Antwort, sollte sie jemals gefunden werden können, wäre die Brücke zwischen Quantenphysik und klassischer Physik. Ich kann es kaum erwarten!


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