Wissenschaft

Radioaktive Kontamination durch Bestrahlung: Netflix-Serie „Dark“ geprüft

Mit „Dark“ hat eine deutsche Eigenproduktion von Netflix es erstmals zu beachtlicher, internationaler Bekanntheit gebracht. Auf Rotten Tomatoes wurde die Serie im Frühjahr 2020 sogar zur besten von 64 Netflix-Eigenproduktionen gewählt. Auch ich wollte mir das natürlich nicht entgehen lassen und schaltete vor mehr als anderthalb Jahren ein, um nach der siebten Folge die Reißleine zu ziehen: Ich kam nicht mehr mit. Keine Chance. Als Zuschauer hat mich die Serie derart in Unwissen gelassen wie ich es von keiner anderen Serie, die ich bislang gesehen hatte, gewohnt war.
Dann, nach Erscheinen der dritten und letzten Staffel im Sommer 2020, wagte ich es erneut, diesmal mit einem Serien-Buddy zusammen. Das funktionierte. Über schwierige Szenen konnten wir uns gegenseitig austauschen und diskutieren, bis beide alles Wichtige verstanden hatten. Und es war super! Die Serie schien die eigene Neugierde bis zur Schmerzgrenze auszureizen, ja, in Unwissenheit kochen zu lassen, um im letzten Moment alles (oder zumindest das meiste) auf einen Schlag zu erklären und die Sache rund enden zu lassen. Herrlich!

Auch thematisch fesselt die Serie meines Erachtens jeden Science Fiction- und Kriminalgeschichten-Fan: Zeitreisen, Kernkraft, mehrdimensionale Welten, Apokalypse und Entführungen. Beste Zutaten für noch besseren Erzählstoff.

Der leidenschaftliche Naturwissenschaftler in mir sucht bei solchen Geschichten stets nach dem bestimmten Quäntchen Plausibilität, dem feinen Detailgrad, der das Dargestellte als nicht völlig übertriebenen Humbug dastehen lässt. Glaubt er auch nicht mit voller Überzeugung an Wurmlöcher in Höhlen, die eine Zeitreise in 33-Jahre-Zyklen erlauben würden, so brennt er doch dafür, dass die dafür gelieferten Erklärungen halbwegs stimmig mit der Realität sind.

So.

Und dann stirbt dieser kleine Naturwissenschaftler in der sonst ziemlichen stimmigen Serie „Dark“ mindestens den folgenden, kleinen Tod. Und den möchte ich hiermit teilen:

Bestrahlte Leiche beginnt zu strahlen

Vorsicht, Spoiler! Staffel 2, Episode 7. Es ist der 24. Juni 1954. In einem Backsteingebäude mit dem Türschild „Polizei“ legt ein Pathologe Zeugnis über die Obduktion der Leiche von Claudia Tiedemann ab. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Obduktionstisches, steht Egon Tiedemann in grüner Polizeiuniform und silbern schimmernden Schulterklappen. Neben dem Pathologen steht der amtierende Polizeichef. Der Mediziner beginnt seinen Monolog mit ein paar Daten zur Toten, nennt die Körpergröße, schätzt das Alter, macht eine Bemerkung zu den markanten Augenfarben.

Dann geht er zu einem abseits stehenden Tisch und greift in eine bereits geöffnete Holztruhe, aus der er einen Geigerzähler mit Messsonde (Zählrohr) nimmt.

Da ist noch etwas anderes. Ich bin nur zufällig drauf gestoßen. Der Körper ist völlig verstrahlt.

Pathologe

Langsam führt er die Messsonde über die Leiche von Claudia Tiedemann, zunächst über ihren Bauch, dann über ihre Beine. Das zuvor nur unregelmäßig knackende Messgerät nimmt plötzlich Fahrt auf, sobald die Sonde sich der Toten nähert. Das Knacken wird lauter, häufiger und geht beinahe in ein Rauschen über.

Hier. Überall. Sie muss über eine längere Zeit einer starken Strahlung ausgesetzt gewesen sein.

Pathologe

erklärt der Mediziner den sehr ernst und nachdenklich dreinblickenden Ordnungshütern. Auf die verbal geäußerte Verwunderung des Polizeichefs hin fügt er noch hinzu:

Hat vielleicht als Röntgentechnikerin gearbeitet.

Pathologe

Und da war Schluss. Das konnte ich nicht so stehen lassen. Als Naturwissenschaftler und Feuerwehrmann mit ABC-Schutz-Ausbildung musste ich die Wiedergabe unterbrechen und meinem Serien-Buddy erklären, warum das in zweifacher Hinsicht Blödsinn war. Ich sagte nicht, wie sehr es mich traf, dass die Macher der Serie hier nicht sorgfältiger gewesen waren, wo doch Radioaktivität eine derart bedeutende Rolle in der Serie zu spielen schien. Denn:

Strahlt man, wenn man bestrahlt wird?

Die kurze Antwort ist: Nein. Man könnte ein ganzes Leben direkt am Rande des Reaktorbeckens in einem Atomreaktor verbringen und sich von morgens bis abends durch und durch bestrahlen lassen. Man könnte so lange in Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung stehen, bis man wortwörtlich auseinanderfällt. Furchtbare Schäden können alle drei dieser Strahlenarten verursachen, das Erbgut in Bruchstücke zerschießen, dadurch biologische Prozesse zum Erliegen bringen und alles mutieren lassen, was der Körper zu bieten hat. Und anschließend würde man trotzdem nicht mehr strahlen als jeder andere Mensch auch. Denn Bestrahlung lässt niemanden strahlen. Punkt.

Dazu muss man wissen, was radioaktive Strahlung ist:

  • Alpha-Strahlung besteht aus Kernen von Helium-Atomen, also zwei Protonen zusammen mit zwei Neutronen. Verglichen mit den anderen Arten von Strahlung sind das dicke Brocken, die mit ihrem Gewicht eine auf Molekülebene bedeutende Durchschlagskraft besitzen und deshalb großen Schaden anrichten können. Gleichzeitig haben sie aus demselben Grund aber nur eine Reichweite im Zentimeter-Bereich und können schon von einem Blatt Papier aufgehalten werden.
  • Beta-Strahlung besteht aus Elektronen, die beim Betazerfall eines Atomkerns freigesetzt werden. Dabei verwandelt sich ein Neutron eines solches Kerns in ein Proton, ein Antineutrino und eben in ein solches Elektron. Das schießt mit einer ordentlichen Energieportion aus dem Kern heraus und kann es einige Meter durch die Luft schaffen. Abschirmung klappt hier beispielsweise mit dünnem Metallblech.
  • Gamma-Strahlung ist im Grunde das, was in der Mikrowelle das Essen warm macht, durch das Fenster herein scheint und den Raum hell macht oder vom Mobiltelefon durch den Äther gesendet wird, um Daten zu übertragen: Elektromagnetische Wellenstrahlung, und zwar in einem ganz bestimmten (hoch energetischen) Energiebereich. Die Reichweite liegt im Kilometerbereich und eine Abschirmung – oder zumindest Abschwächung – ist vielleicht mit meterdickem Stahlbeton zu erreichen.
Metallisches Uran, gehalten in den behandschuhten Händen eines Menschen
Aufbereitetes, metallisches Uran

Und man muss wissen, woher diese radioaktive Strahlung kommt: Wie schon bei der Beschreibung der Strahlungsarten kurz angedeutet, entstammt diese zerfallenen Atomkernen. Bei einem ungünstigen Verhältnis von Protonen und Neutronen im Kern, bricht letzterer auseinander oder einzelne seiner Bausteine wandeln sich um. Das passiert Beispielsweise mit dem Uran-Kern, der über 235 Kernbausteine verfügt, oder mit dem Caesium-Kern, der über 137 Kernbausteine verfügt. Und nur diese Stoffe sind es (die Beispiele Uran und Caesium sind übrigens beide Metalle, die ganz natürlich auf der Erde vorkommen und abgebaut werden können), die radioaktive Strahlung abgeben. Ein Geigerzähler kann diese Strahlung dann messen und beispielsweise durch das in der Serie zu hörende Knacken anzeigen.

Dort, wo die Strahlung ankommt, richtet sie Schäden an, indem sie ihre hohe Energie abgibt und beispielsweise Erbgut beschädigt. Aber dadurch entsteht etwa im Erbgut kein instabiler Atomkern, der Strahlung abgeben könnte, die wiederum von einem Geigerzähler detektiert werden könnte. Das können nur diese radioaktiven Elemente selbst. Und wenn Claudia Tiedemann nicht zufällig irgendwelche radioaktiven Substanzen konsumiert hat, die sich in ihrem Körper befinden und fleißig vor sich hin strahlen, dann dürfte das Knacken des Geigerzählers sich in der Nähe ihrer Leiche nicht verändern. Die Verunreinigung von Oberflächen (auch des Körpers) mit Stoffen heißt „Kontamination“, die Aufnahme in den Körper „Inkorporation“.
Im Falle von Frau Tiedemann ist das natürlich möglich, so viel Zeit wie sie im – übrigens bemerkenswert schlecht gesicherten – Reaktorraum des AKW Winden verbracht hat. Aber die Erklärung des Pathologen „Sie muss über eine längere Zeit einer starken Strahlung ausgesetzt gewesen sein“ ist dann trotzdem Blödsinn.

Wie radioaktiv strahlen Röntgengeräte?

Aufbau einer Röntgen-Röhre
Schematische Zeichnung einer Röntgen-Röhre. Die aus der Kathode (K) herausgelösten Elektronen (blau) werden gegen die Anode (A) beschleunigt und setzen beim Aufprall Röntgenstrahlung (X) frei.

Der Pathologe hätte an dieser Stelle lieber den Mund halten sollen, denn hier wäre es schon genug gewesen. Aber dann guckt der Polizeichef ihn fragend an und er setzt noch einen oben drauf, indem er vermutet, Claudia Tiedemann habe vielleicht als Röntgentechnikerin gearbeitet. Und das ist noch größerer Blödsinn.

Röntgengeräte geben eine Strahlung ab, die der Gammastrahlung ähnelt, doch wie zuvor geschrieben würde diese Strahlung niemanden zum Strahlen bringen. Aber selbst wenn, dann muss man trotzdem zu Bedenken geben: Röntgengeräte strahlen zwar, aber nicht radioaktiv. In einem Röntgengerät zerfällt nämlich gar nichts, was nicht auch in jeder Kaffeemaschine zerfallen würde. Die Geräte arbeiten nämlich so, dass eine sehr hohe Spannung zwischen zwei Elektroden angelegt wird. Dabei lösen sich Elektronen aus der einen Elektrode, prallen auf die andere Elektrode und setzen bei diesem Aufprall Energie frei, die in Form von elektromagnetischer Wellenstrahlung (hier: Röntgenstrahlung) aus dem Gerät heraustritt und im Idealfall durch Haut und Knochen auf einen Film trifft, auf dem dann ein Röntgenbild entsteht. Ende der Geschichte.

Elektromagnetisches Spektrum
EM_spectrum.svg: User:Zedh derivative work: Matt (talk), EM-Spektrum, CC BY-SA 2.5

Die letzte Möglichkeit, mit der ich die Erklärung des Pathologen unter Aufwendung von ganz viel Fantasie noch hätte durchgehen lassen, wäre gewesen, dass Claudia Tiedemann, wäre sie Röntgentechnikern gewesen, sich versehentlich ein Kontrastmittel injiziert hat, das eigentlich in irgendeinem Patienten hätte landen sollen, um bestimmte Organe oder Blutgefäße auf Röntgenaufnahmen besser sichtbar zu machen. Diese Mittel strahlen vergleichsweise schwach, werden nach kurzer Zeit zum größten Teil wieder ausgeschieden und haben eine so kurze Halbwertszeit (im Bereich von Stunden), dass die von ihnen ausgehende Strahlung nach ein paar Tagen bis Wochen in der natürlichen Hintergrundstrahlung untergehen dürfte. Wäre Claudia Tiedemann also Röntgentechnikerin gewesen und wäre dies also die Erklärung gewesen, warum ihre Leiche noch strahlte, hätte sie sich nicht nur einmal, sondern wohl immer wieder versehentlich mit Kontrastmittelinjektionen stechen müssen und dabei jedes Mal die komplette Injektion in den Körper geben, um das bei ihrer Obduktion gemessene Ergebnis zu bewirken. Höchst unwahrscheinlich.

Fazit

„Dark“ ist eine tolle Serie, auch oder gerade für naturwissenschaftlich Interessierte. Aber obwohl Radioaktivität eine wichtige Rolle zu spielen scheint, darf man es zumindest mit den hier untersuchten Aussagen in der Serie nicht so ganz genau nehmen. Kein Mensch beginnt, radioaktiv zu strahlen, wenn er bestrahlt wird. Und Röntgengeräte strahlen sowieso nicht radioaktiv.


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