Feuerwehr

Schwein gehabt: Tierrettung in der Jauchegrube

„Bei uns auf dem Hof sind zwei Schweinchen in die Güllegrube gefallen!“, meldete sich ein Landwirt aus dem Dörfchen, der sich – wie üblich hier in der abgelegenen Provinz im Münsterland – mit einem solchen Anliegen nicht vernünftigerweise an die Leitstelle, sondern an den nächstgelegenen Löschzugführer gewandt hatte.
Die Leitstelle übrigens, so scheint mir, ist ein schier unantastbarer Ort. Wie ein Gebet zum Herrn persönlich muss sich der Anruf oder Funkkontakt zur Leitstelle anfühlen. Jeder Mitfeuerwehrmann bekreuzigt sich nämlich erst und spricht dreimal zur Probe, bevor er den Knopf drückt und einen kurzen Satz durch das Funkgerät in Richtung Leitstelle schickt. Und genauso muss erst ein Haus lichterloh fackeln oder jemand literweise Blut verloren haben, bevor hier in der Nachbarschaft jemand direkt die 112 wählt. Und so rief der Landwirt eben nicht dort an, sondern bei meinem Löschzugführer: „Könnt ihr dat machen?“, und der zweite Satz (auch üblich): „Wat kost‘ dat?“.

In dem Moment musste mein Zugführer etwas sarkastisch klarstellen: „Wenn ihr die Schweine nicht selbst in die Güllegrube geworfen habt, kostet euch der Einsatz der Feuerwehr gar nichts“. Man sollte das als Scherz verstanden haben – zu seiner Verwunderung antwortete der Landwirt allerdings: „Moment, ich frage kurz nach…“, zehn Sekunden später fuhr er stolz fort: „Nein, wir haben die Schweine nicht reingeworfen!“. Also alarmierte mein Zugführer per Anruf an die Leitstelle seine Kameraden und damit auch mich. Der Melder meldete: Tierrettung – Schweine in Güllegrube. Super.

Am Gerätehaus angekommen standen nur zwei von vier Fahrzeugen im Stall. Eines der anderen beiden Fahrzeuge (und gleichzeitig das älteste) war wenige Wochen zuvor zu einem anderen Löschzug gewechselt. Bald soll an seiner Stelle ein nigelnagelneues Löschgruppenfahrzeug stehen, bis dahin mussten wir mit einem Tanklöschgruppenfahrzeug, einem tanklosen Löschgruppenfahrzeug und einem Mannschaftstransporter klarkommen. Sollte reichen. Allerdings kam wieder alles, wie es kommen musste: Der Mannschaftstransporter war auch nicht da, keiner wusste, wo er war und auf der Info-Tafel stand natürlich wieder einmal nichts. Das Tanklöschgruppenfahrzeug, unser Hengst, unser primäres Flakschiff, unser Schwert-gegen-das-Feuer, unser heldenhaftes, imposantes, gottgleiches, erstausrückendes Ungetüm von Löschfahrzeug… sprang nicht an. Die Batterie war leer. Also blieb uns nur noch das tanklose Löschgruppenfahrzeug. Kein schlechtes, muss man zugeben: 9 Plätze, zwei Pumpen, zwar kein Wassertank, aber schließlich musste es heute auch nur Schweine retten. Das Problem war dabei: Es kamen eben nur 9 Leute mit zum Einsatz. Aber es waren schließlich nur zwei Schweinchen gemeldet, neun Leute sollten mehr als genug sein.

Als wir auf dem Hof ankamen, erkundete der Einheitsführer. Auch wir durften einen Blick in die Grube werfen: Aus den zwei am Telefon erwähnten Schweinchen hatten sich – wohl magischerweise – sechs schlachtreife Sauen entwickelt. Welch Glück, dass… Achja.

Mist (im wahrsten Sinne des Wortes!).

Ich war Angriffstrupp. Das hieß, ich und ein Kamerad waren an diesem Abend die Auserkorenen. Ich weiß nicht, ob es Zufall war oder mir nur so vorkam, aber irgendwie schien es, als hielten ab dem Zeitpunkt, wo feststand, dass er und ich gleich in die einige Meter tiefe Jauche springen durften, alle übrigen Anwesenden einen gewissen Abstand von uns. Wir waren wohl unantastbar geworden und, obwohl noch blitzeblank, schwebte scheinbar der Geruch des fäkalen Todes schon über uns. Wir bereiteten uns mental darauf vor, in die knietiefen Exkremente zu steigen, um die Schweinchen zu retten.

Unser Löschzugführer erkannte angesichts der massigen Schweine das Problem mit der Zahl der Männer und wollte nachalarmieren. Allerdings war ja kein Auto mehr im Stall oder, wenn es da war, war es nicht einsatzbereit. So wurde eine Löschgruppe aus dem anderen Ortsteil alarmiert. Dabei kam auch der Leiter unserer Feuerwehr in seinem schnieken und natürlich mit Blaulicht ausgestatteten Privatauto angefahren. Er entschied, dass wir auf keinen Fall mit unseren Einsatzklamotten und mit den gewöhnlichen Atemschutzgeräten hinab in die Gülle steigen durften, weil diese allesamt ersetzt werden müssten. Waschen würde da nicht mehr reichen. Also warteten wir eine Stunde, bis die Kameraden des anderen Ortsteils mit ihren Fahrzeugen ausreichend Wattehosen, Vogelgrippe-Schutz-Overalls von der letzten Tierseuche und Voll-Gummi-Pressluftatmer (Atemschutzgeräte, die man nachher entsorgen oder komplett in die Waschmaschine schmeißen konnte) herangeschafft hatten. Diese Zeit konnten wir uns natürlich nur nehmen, weil es den Schweinen echt gut ging. Die grunzten in der Grube munter in ihren Exkrementen vor sich hin und blubberten Luftblasen mit ihren Nasenlöchern in der braun-grauen Flüssigkeit.

Während wir warteten, wurde die Jauche so weit wie möglich abgepumpt, damit sie uns später nicht in die Gummihosen hinein schwappen würde. Die Kameraden, die nicht unantastbar geworden waren, tüftelten derweil an einem System, das die Schweine, die wir später fangen sollten, wieder ins Erdgeschoss bringen konnte.

Als endlich alle Kleidung eingetroffen war, rüsteten wir uns aus, stiegen in die Grube, trieben Schwein für Schwein in eine Gitterkiste und unsere Kameraden zogen die Kiste mit Schläuchen, die darunter befestigt worden waren, wie einen Aufzug nach oben. Nach vier Schweinen ging die Luft meines Partners aus, wir stiegen hoch und sollten die Flaschen wechseln, damit nicht noch mehr Leute ihre Kleidung dort unten versauen mussten. Da alle Kameraden an der Öffnung im Stall gebunden waren, wurde das Flaschenwechseln Chefsache. So friemelte plötzlich ein achtköpfiges Wehrkommando an meinem mit Schweinemist beschmierten Rücken herum und versuchte, die Flasche aus dem Atemschutzgerät zu schrauben. Die war allerdingsdurch das Ausdehnen der Luft angesichts des stetigen Druckverlusts eingefroren und der Schraubverschluss ließ sich nicht drehen. Der Wehrführer persönlich nahm also eine Zange, drehte mit aller Kraft und zerstörte dabei das Gerät, sodass die Luft nur so aus dem Anschluss pfiff. Damit wollte er mich trotzdem wieder runter schicken, was allerdings durch einen aufbrausenden Tumult der anderen Einheitsführer abgewendet wurde. Mein Erstickungstod in der Jauchegrube hätte mir bestimmt die Tapferkeitsmedaille der Stufe Braun eingebracht. Vielen Dank. Also bekam ich ein neues Gerät, durfte wieder runterklettern, mit meinem Partner die übrigen zwei Wutzes fangen (was viel leichter klingt als es war) und von den anderen nach oben ziehen lassen.

Am Ende war ich nach Ablegen der ganzen Schutzkleidung am Ende beinahe blitzeblank. Die Kameraden jedoch, die oben standen und die ebenfalls mit halbflüssigen Exkrementen gefüllte Kiste hochziehen durften, hatten natürlich ihre gewöhnliche Einsatzkleidung damit durch und durch getränkt. Nach dreimaligem Duschen war auch das letzte Duftwölkchen verflogen und um 00:30 Uhr konnte ich mit dem Gedanken schlafen gehen, die süßen, rosanen Quieker gerettet zu haben.

Diese sind übrigens am nächsten Tag sofort geschlachtet worden. Hach.

Ein Gedanke zu „Schwein gehabt: Tierrettung in der Jauchegrube

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