Einsatz: Missglückte Türöffnung für die Polizei
An diesem Tag stand ein großer Termin in meinem Kalender: Löschzugübung, Thema: Erste Hilfe. Da ich an diesem Nachmittag im Februar vor Langeweile nicht wusste, was ich Sinnvolleres unternehmen könnte, fuhr ich eine viertel Stunde früher zum Gerätehaus als nötig gewesen wäre. Zu meiner Überraschung schienen heute so einige Kameraden ähnlich wenig zu tun gehabt zu haben, denn als ich eintrat, standen schon zehn Leute in der Fahrzeughalle verteilt und plauderten munter in kleinen Grüppchen. Mein Glück, dass ich heute auch mal von der schnellen Truppe war…
Denn gerade hatte ich ein Wort mit einem Kameraden gewechselt, da ertönte ein einziger Melder. Plötzlich waren alle mucksmäuschenstill. Nur die orientalisch anmutende Melodie seines Piepers durchschnitt die Luft. „Klar!“, dachten alle. Seit zwei Wochen war der Löschzug zu keinem Einsatz mehr gerufen worden, die meisten meiner Kameraden hatten seit sechs Wochen oder länger ihren Helm nicht mehr auf dem Kopf gehabt. Und nun gab es offensichtlich einen Einsatz – aber anscheinend wurde bloß eine Führungskraft gerufen, während der Rest in die Röhre guckte (und an Puppen die Herz-Lungen-Wiederbelebung proben sollte). Falsch gedacht. Keine zwei Sekunden später schepperten die ohrenbetäubenden Pieptöne aus jeder Ecke der Halle: Person hinter verschlossener Tür. Dutzende Male hatte ich mir ausgemalt, wie viel Zeit ich hätte, würde ich eines schönen Tages mal zufällig im Gerätehaus (oder wenigstens in seiner Nähe) alarmiert werden. Ich war sonst eine Adrenalin-geladene Anfahrt von beinahe drei Minuten durch das halbe, ländliche Stadtgebiet gewohnt. Jetzt war ich schon da. Großartig! Aber falsch gedacht. Die Zeit reichte noch für einen kurzen Blickkontakt mit den anderen. Die stürmten nämlich los als gäbe es kein Morgen. Also musste ich mitstürmen, lief ich doch sonst Gefahr, dass man ohne mich ausrückte.
Ich sprang in meine Stiefel, zog die Einsatzhose über meine Jeans, zog die Jacke an, vergaß vorher aber die Hosenträger, schmiss die Jacke also auf den Boden, zog die Hosenträger über meine Schultern und die Jacke wieder an. Als Zweiter war ich auf dem Einsatzfahrzeug, keine 30 Sekunden nach dem Alarm. Das war mindestens doppelte Berufsfeuerwehr-Geschwindigkeit. Ich nahm meinen Platz als Angriffstruppmann ein und war optimistisch, heute meine erste Tür selbst mit Brechwerkzeug öffnen zu dürfen, wie ich es beim letzten Lehrgang und auch auf der letzten Übung gelernt hatte. Und das Beste war noch, dass mein Truppführer gleichzeitig mein bester Freund aus alten Kindertagen war, der eigentlich 300 Kilometer entfernt eine Ausbildung absolvierte und nur zufällig ein paar Tage frei hatte, in denen er seine Heimat besuchte. Aber wir waren leider nicht die Einzigen, die mitwollten. Die übrigen Kameraden brauchten so lange zum Umziehen, dass sie die Minute locker vollmachten. Als vier Leute hinten in der Mannschaftskabine saßen, rief mein Truppführer „Staffel voll!“, das Zeichen, dass nun fünf Mann plus Einheitsführer im Fahrzeug saßen und wir ausrücken könnten. Dieser Einheitsführer wollte aber warten, bis wir Gruppenstärke hatten, also acht Mann plus Gruppenführer. Das machte auch Sinn, da wir schließlich rekordverdächtig schnell besetzt waren und es deshalb keine Veranlassung gab, Sitze auf dem Fahrzeug leer zu lassen, während andere Feuerwehrmänner sich noch umzogen. Zu meinem Pech allerdings war der letzte Kamerad, der um das Fahrzeug voll zu machen einstieg, eine echte Kante. Keine Chance, meinen Sitzplatz (und damit meine Funktion als Angriffstruppmann) gegen ihn zu verteidigen. Ich musste aufrücken. War ich gerade noch der feurige Hoffnungsträger, der Angriffstruppmann – so wurde ich nun zum Nichts degradiert. Melder. Der Posten, der einst die Funkgeräte ersetzte, als es noch keine gab. Heute ersetzen zwei Funkgeräte zehn Melder. Selbst das Lehrbuch kennt keine bestimmte Aufgabe für ihn: „Übernimmt befohlene Aufgaben“ steht in Feuerwehrdienstvorschrift 3. Super.
All meine Enttäuschung beiseite, war es doch endlich wieder ein Einsatz. Und amüsant wurde er später auch noch. Nun allerdings ging es erstmal los. Mir persönlich machte es große Freude, mir die Gesichter der Polizisten vorzustellen, die uns zur Amtshilfe alarmiert hatten. Sie erwarteten von einer Dorffeuerwehr mit Sicherheit eine Anfahrtszeit von sechs bis acht Minuten. Falsch gedacht. Keine 150 Sekunden nach der Alarmierung rollten wir mit unserem schnaubenden Ungetüm von Löschfahrzeug und einem Mannschaftstransporter als Führungsfahrzeug, begleitet von haufenweise Blaulicht, durch die Dämmerung. Den Polizisten wird der Kit aus der Brille gefallen sein, denn sie hatten ja kaum das Funkgerät zur Nachalarmierung wieder an den Gürtel gesteckt, da kam schon unsere Horde von einsatzwütigen Dorffeuerwehrleuten am Horizont angerauscht.
Vor Ort standen waren vier Polizisten mit zwei Streifenwagen. Sie sagten wenig zur Lage oder ihrem Grund der Anwesenheit, wünschten sich nur, dass wir eine Tür möglichst schnell öffnen sollten. Mein bester Freund aus Kindertagen und sein neuer Truppmann – pah! – machten sich, bewaffnet mit einem Notfallrucksack, einem Vorschlaghammer und einem Halligan-Tool (Feuerwehr-Brechstange aus den USA) auf den Weg zur Tür im obersten Geschoss eines Mehrfamilienhauses. Während der Trupp arbeitete, öffnete jemand aus der gegenüberliegenden Wohnung seine Tür und schaute zu. Ein Polizist entgegnete etwas genervt „Hier gibt es nichts zu sehen!“ und zog die Tür wieder zu. Unsere Leute brauchten ein paar Schläge, schmissen sich dagegen und die arme Tür flog aus den Angeln. Die vier Kollegen von der Polizei betraten rasch das Zimmer – und kamen gleich wieder heraus. „Falsche Tür“, sagte ein Beamter zerknirscht. Der Angriffstrupp verkniff sich ein Lachen. Die Polizei hatte eine leerstehende Abstellkammer aufbrechen lassen. Kein Wunder, dass keiner geöffnet hatte. „Aber dafür sind wir ja da“, beschwichtigte der Einsatzleiter die Polizisten, konnte sich aber ein Lächeln selbst nicht verkneifen.
Nun schob wieder der Nachbar von Gegenüber seinen Kopf durch den eigenen Türspalt und schaute sich das Spektakel an: Notarzt, zwei Rettungsassistenten, vier Polizisten und drei Feuerwehrleute sahen, mal mehr, mal weniger, glücklich aus. Ein Polizist fragte: „Sind Sie Herr Soundso?“ – „Ja“, entgegnete der Mann. „Zu Ihnen wollten wir eigentlich“, sagte ein anderer Beamter etwas verlegen, da er den gesuchten Anwohner zuvor selbst wieder eingesperrt und die eigentlich zu öffnende Tür zugezogen hatte.
Wir konnten also abrücken und uns unserer Übung widmen. Den Polizeibericht, in dem das Zerschlagen der falschen Tür und das Selbst-Aussperren der Polizei aus der Wohnung der Zielperson gerechtfertigt werden müssen, würde ich gerne einmal lesen.