Notfall hinter verschlossener Tür
Von einem Einsatz Ende August will ich noch berichten. Wer halbwegs oberflächlich die vorherigen Einsatzberichte gelesen hat, dürfte gemerkt haben, dass ich an der einen oder anderen Stelle davon sprach, wie für einen Einsatz der metaphorischen Kategorie „Katze auf dem Baum“ ein Bataillon ausrückte, das dem Überfall auf ein benachbarten Land in Kriegszeiten würdig gewesen wäre. Das war, zugegeben, stets übertrieben.
Im Folgenden ist es das nicht. Wir spielten Schlüsseldienst mit allem, was die öffentliche Gefahrenabwehr zu bieten hatte.
16:52 Uhr – Alarm: „Person hinter verschlossener Tür“. Ok. Dieses Stichwort wurde mir heute zum ersten Male in meiner aktiven Laufbahn von der Leitstelle als Einsatzbefehl zugestellt, nichtsdestotrotz wusste ich natürlich seit Jahren schon, was das im Einsatz für mich einmal heißen würde: A. Ein Toter, der möglicherweise seit Monaten (besser noch nicht ganz so lange) hinter einer Tür liegt, oder jemand der gestürzt ist und allein nicht wieder auf die Beine und zur Tür kommen kann; B. Ein potenzieller Selbstmörder, der gerade dabei ist, sich zu schaden, oder es gerade hinter sich hat, sodass er noch aufgehalten oder gerettet werden muss, bevor es zu spät ist; C. Ein Verdächtiger einer Straftat, der noch nicht der Größenordnung eines SEK-Einsatzes bedarf, aber die Haustür nicht freiwillig öffnet, sodass die Feuerwehr den Polizeibeamten Amtshilfe leistet und das Betreten der Wohnung ermöglicht.
In jedem Fall sind wir schneller und effizienter als jeder kommerzielle Schlüsseldienst, allerdings darf der Eigentümer der Tür sich in vielen Fällen anschließend, eine neue Tür oder gleich eine neue Wand kaufen – sofern er noch lebt.
Ich schaffte es diesmal auf das erstausrückende Tanklöschfahrzeug. Insbesondere bei diesem Stichwort durfte man davon ausgehen, dass möglicherweise ein Atemgift (Kohlenstoffmonoxid etwa) die Atmosphäre tödlich machen könnte. So wurde, als man mich in meinen Schluffen über den Alarmparkplatz stürzen sah, noch kurz auf mich gewartet; neuerdings durfte ich nämlich Atemschutz tragen. Im Fahrzeug herrschte ab dem Ausrücken sofort die Der-Einsatz-wird-gleich-eh-abgebrochen-Stimmung, da die verschlossene Tür im anderen Ortsteil war und wir quasi nur zur Verstärkung angerückt kamen. Allerdings gab es keinen Einsatzabbruch. Wir rasten mit fortlaufendem Presslufthorn 5,6 Kilometer über Landstraßen und durch die Stadt.
Tatsächlich war übrigens bei diesem Einsatz eine Person hinter der Tür, die sich eingeschlossen hatte, weil ihr Lebensgefährte sich kurz zuvor von ihr getrennt hatte. Aus Sorge, die Person könnte sich etwas tun, wurde also die Feuerwehr gerufen.
17:05 Uhr – Überfall: Es war wohl Zufall, dass an diesem Tage ausnahmsweise einmal ein paar Feuerwehrleute mehr vor Ort waren, die zum Einsatz mitfahren konnten. Zwar wurde nämlich nur eine kleine Gruppe von Kräften alarmiert, um genau das zu verhindern, was am Ende dann doch Realität wurde: Die fragliche Tür hätte ein jeder halbstarker Zehntklässler mit einem Tritt öffnen können. Doch das wusste ja keiner. Also rückte diesmal – und diesmal wirklich – alles aus, was die Rettungskräfte zu bieten hatten: Die arme Tür, die an diesem Morgen noch die Sonne hatte aufgehen sehen dürfen, stand nun einer Armada von zwei Tanklöschfahrzeugen, einem Gerätewagen mit schwerem Gerät zur technischen Hilfe, einem Einsatzleitwagen und einem Mannschaftstransportwagen, einem Notarzteinsatzfahrzeug, einem Rettungswagen und einem Funkstreifenwagen der Polizei gegenüber. Allein die Feuerwehr rückte mit 22 Mann an, der Rettungsdienst mit weiteren vier und die Polizei mit zwei Beamten. Es fehlte nur noch die heulende Sirene auf dem Rathausdach, um das Spektakel abzurunden.
So sollte also mit 28 Mann gegen eine einzige Tür angetreten werden. Die Tür war natürlich schon nach Sekunden von den ersten beiden Feuerwehrleuten vor Ort geöffnet worden, keine Frage. Aber die Stadt war jetzt auf den Beinen, nachdem eine solche Parade in die Altstadt gedonnert war. Fast alle Maschinisten ließen zur Feier des Tages das Horn auch mitten in der Stadt laufen und schienen die Tür mit dem Tatütata aus den Angel pusten zu wollen, sodass Frauen mit frischer Farbe in den Haaren aus dem nächsten Friseursalon auf die Straße stürmten und fragten, was denn los sei. Auf der kleinen historischen Straße mitten in dem Kaff standen nun nämlich 8 Fahrzeuge mit Blaulicht und teilweise mit laufendem Horn. Das blanke Chaos.
Aber wir hatten wieder die Welt gerettet: Tür offen, Person wohlbehalten vorgefunden, an Rettungsdienst und Polizei übergeben. Einsatzende für uns.
So gewitzt geschrieben, dass ich fast die Ernsthaftigkeit der Lage vergesse, gefällt mir!